Machen wir ein Gedankenexperiment: Sie dürfen 25 Personen auswählen, mit denen Sie den Rest Ihres Lebens verbringen. Zu allen anderen bricht der Kontakt ab (den Grund dafür können Sie sich aussuchen: Zombieapokalypse oder Entführung der Menschheit durch Aliens).

Sicher würden Sie sich für Ihre liebsten Familienmitglieder entscheiden. Dann noch die besten Freunde. Vielleicht einen guten Arzt, ein paar Handwerker und ein paar Kumpels der Kinder. Damit ist Ihre Gruppe voll. Und so leben Sie glücklich zusammen, bis Ihr Ende gekommen ist. Oder doch eher nicht?

5 Tipps, wie Sie Netzwerkeffekte für die Organisationsentwicklung nutzbar machen

Silos entstehen, wenn starke Bindungen überwiegen

Im Privatleben schauen wir häufig und ganz selbstverständlich über den Kreis unserer engsten Kontakte hinaus, wenn wir nach Hilfe suchen: Wer kann mir Gitarre spielen beibringen? Gibt es jemanden, der meinen Sessel neu polstern kann? Wer kennt sich mit Strauchschnitt im Garten aus? In vielen Unternehmen sieht die Realität dagegen anders aus: Teams und Abteilungen bleiben unter sich. Das berüchtigte Silo entsteht, mit dessen Aufbrechen sich so manche Managerin oder so mancher Manager vergeblich abmüht. Daran ändern auch Matrixorganisationen oder Holokratie-Modelle nichts Grundlegendes.

Niemand hat 27 beste Freund*innen. Niemand hat 39 Teamkolleg*innen, mit denen er oder sie eng zusammenarbeitet. Muss auch niemand. Schwache Bindungen, also eher flüchtige Bekanntschaften, sind für uns ebenfalls wertvoll. Der amerikanische Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler Mark Granovetter hat bereits in den siebziger Jahren begründet, weshalb es gerade diese schwachen Bindungen zwischen Menschen sind, die Akteure in Netzwerken erfolgreich werden lassen.

Raus aus den Silos! Die Stärke der schwachen Bindungen | Blogpost von Commha Consulting | Bild pixbay
Alltag in vielen Unternehmen: Teams und Abteilungen bleiben unter sich. Das berüchtigte Silo entsteht.

Brücken in entfernte Netzwerke bauen

Unternehmen können sich diese Macht der schwachen Bindungen gezielt zunutze machen. Die Idee von Granovetter ist simpel: Stellen Sie sich vor, Sie haben einen besten Freund und eine beste Freundin. Zu beiden haben Sie eine starke Bindung. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Ihr bester Freund und Ihre beste Freundin gar nicht kennen, ist für Granovetter gering. Wahrscheinlich verstehen sich die beiden sogar gut – und gehen auch einmal ohne Sie ein Bier trinken. Sie bilden ein starkes Netzwerk aus drei Personen.

Wenn Sie nun aber einen neuen Job suchen oder jemanden, der Ihnen eine Wohnzimmerschrankwand zimmert, kommen Sie mit den zwei allein sehr wahrscheinlich nicht weiter. Sie brauchen eine Brücke in ein anderes Netzwerk, in einen anderen Freundeskreis – eine lose Bekanntschaft oder den Großcousin, mit dem Sie sonst wenig zu tun haben. Ihr Friseur wäre eine gute Anlaufstelle. Er bildet die einzige Verbindung in viele andere Netzwerke, die Ihnen sonst nicht zugänglich wären. Die zentrale Frage lautet: Kenne ich jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt, …? Heute haben soziale Netzwerke im World Wide Web das Potenzial, solche Brücken zu bilden. Granovetter hat das Aufstreben solcher Plattformen kaum erahnen können, aber seine Theorie erklärt zumindest einen Teil ihres Erfolgs.

Haben Facebook-Freunde doch ihre Berechtigung?

Ich persönlich habe momentan 313 Facebook-Freunde, mehr als 500 LinkedIn-Kontakte, bin Mitglied in diversen WhatsApp-Gruppen und teile allerhand Fotomaterial mit knapp 400 Followern auf Instagram. Während echte Social-Media-Profis meine Reichweite vielleicht müde belächeln, sagen die Skeptiker*innen: „Wen interessiert’s? Echte Freunde sind wertvoller.“ Mag sein, allerdings sind es genau diese losen Verbindungen, die laut Granovetter Brücken in andere Netzwerke bilden.

Ihr Chef steht regelmäßig bei Ihnen im Büro? Wunderbar! Mit Ihren Kolleg*innen gehen Sie zum Sport? Hervorragend! Der Arbeitgeber sponsort ein Teamevent samt Hochseilgarten und Abendschmaus? Fantastisch! Es bestehen gute Chancen, dass sich starke Bindungen bilden, die den Austausch erleichtern, Ihnen eine emotionale Heimat geben, Ihr Vertrauen in die Gruppe festigen. Brücken in andere Teams bauen Sie so allerdings nicht. Genau diese Brücken brauchen Sie aber, wenn Sie in Ihrer Organisation Probleme lösen, Innovation vorantreiben oder Chancen erkennen und nutzen wollen: Wer kennt sich mit dem chinesischen Markt aus? Wer hat sich schon einmal mit einer ähnlichen Problemstellung beschäftigt? Welche Lieferanten könnten die Teile noch fertigen, die wir so dringend brauchen?

Bei Fragen wie diesen helfen schwache Bindungen. Als Führungskraft können Sie Ihr Unternehmen oder Ihr Team dabei unterstützen, ein solches Netzwerk schwacher Bindungen aufzubauen. Fünf Tipps, wie Sie vorgehen können:

Raus aus den Silos! Die Stärke der schwachen Bindungen Wie und warum entstehen im Unternehmen Silos und was kann man dagegen tun? Jana Seifert gibt 5 Tipps, wie Sie Netzwerkeffekte für die Organisationsentwicklung nutzbar machen können.

Nutzen Sie bestehende Veranstaltungen als Netzwerkplattform

Weihnachtsfeier, Sommerfest, Marktplatz – egal welche größeren Veranstaltungen in Ihrem Unternehmen stattfinden, verpassen Sie nicht die Chance, Netzwerken als Agendapunkt mit aufzunehmen. Wichtig: Leiten Sie diese Netzwerk-Sessions an. Bitten Sie zum Beispiel die Teilnehmenden, sich nach Working out Loud-Manier mit drei Fakten über sich selbst kurz vorzustellen und dann Anknüpfungspunkte und Gemeinsamkeiten mit den Tischnachbar*innen zu finden. Oder überprüfen Sie die Sitzordnung und helfen Sie beim Smalltalk (für manch eine*n ist er eine Qual), zum Beispiel mit einem Quiz über ihre Kunden und Kundinnen und deren Unternehmen.

Raus aus den Silos! Die Stärke der schwachen Bindungen Wie und warum entstehen im Unternehmen Silos und was kann man dagegen tun? Jana Seifert gibt 5 Tipps, wie Sie Netzwerkeffekte für die Organisationsentwicklung nutzbar machen können.

Bauen Sie ein Enterprise Social Network, kurz ESN, auf

Menschen helfen gerne anderen Menschen – ein Grund, weshalb soziale Netzwerke funktionieren. Idealerweise verfügt Ihr Unternehmen über einen Kanal, mit dem sich alle Mitarbeitenden gleichzeitig erreichen lassen. Die Suche nach einem Experten oder einer Expertin ist dort gut aufgehoben. Das Netzwerk hilft ebenso, wenn Sie verschiedene Perspektiven oder Meinungen einholen möchten, und dient Ihnen als Pulsmesser für die Stimmung im Unternehmen.

Raus aus den Silos! Die Stärke der schwachen Bindungen Wie und warum entstehen im Unternehmen Silos und was kann man dagegen tun? Jana Seifert gibt 5 Tipps, wie Sie Netzwerkeffekte für die Organisationsentwicklung nutzbar machen können.

Nutzen Sie Effectuation

Diese Management-Methode ist ressourcen- bzw. mittelorientiert. Eine Ressource, auf die jeder oder jede zurückgreifen kann, sind die Menschen, die er oder sie kennt. Mithilfe von Effectuation lernen wir, unser Netzwerk gezielt für unsere Vorhaben einzusetzen und Partnerschaften einzugehen.

Es würde an dieser Stelle zu weit führen, Effectuation ausführlich zu beschreiben. Für all jene, die sich die Stärke der schwachen Bindungen im Arbeitsalltag zunutze machen wollen, lohnt sich die Auseinandersetzung mit diesem Ansatz in jedem Fall.

Raus aus den Silos! Die Stärke der schwachen Bindungen Wie und warum entstehen im Unternehmen Silos und was kann man dagegen tun? Jana Seifert gibt 5 Tipps, wie Sie Netzwerkeffekte für die Organisationsentwicklung nutzbar machen können.

Entwickeln Sie Formate zur Stärkung der schwachen Bindungen

Eine interne Messe, Peer-Learning-Gruppen auf Basis von lernOS, Lunch-Dates – hier sind Ihrer Fantasie keine Grenzen gesetzt. Versuchen Sie, Menschen mit anderen Menschen in Kontakt zu bringen. Mitarbeitende, die schon länger im gleichen Team arbeiten, freuen sich über neue Impulse, Kolleginnen und Kollegen entwickeln ein besseres Verständnis für die Arbeit anderer Abteilungen, und ganze Prozessketten werden schneller, wenn passende schwache Bindungen vorhanden sind.

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Gestalten Sie Räume so, dass zufällige Kontakte eine Chance haben

Damit ist nicht das Großraumbüro mit seinen halbhohen Stellwänden und Dschungeloasen aus Zimmerpflanzen gemeint, sondern eine Büro- beziehungsweise Arbeitsarchitektur, die Begegnung ermöglicht: offene Lernräume, wechselnde Büroarbeitsplätze, eine Cafeteria, in der auch gearbeitet werden kann. Natürlich brauchen Menschen auch Rückzugs- und Stillarbeitsräume. Daneben können Sie mit Räumen, die zum Austausch einladen dafür sorgen, dass auch konzentrierte Wissensarbeiter*innen ab und an eine flüchtige Bekanntschaft machen.

Bei all der Stärkung von schwachen Bindungen, vergessen Sie als Führungskraft die starken Bindungen nicht! Wenn Ihre Mitarbeitenden nicht wissen, was ihr direkter Kollege tut oder welche Expertinnen im eigenen Team sitzen, ist Ihnen nicht geholfen. Starke Bindungen brauchen Pflege und vor allem Zeit. Schwache Bindungen lassen sich zwar schneller herstellen, aber ohne Invest geht es auch hier nicht. Wie viel Sie in starke oder schwache Bindungen investieren möchten, können bei Gelegenheit mit ein paar Kolleginnen und Kollegen diskutieren – vielleicht ja mit solchen, mit denen Sie abends bislang noch kein Bier zusammen getrunken haben.

Sie möchten das Thema intensiver diskutieren oder brauchen mehr Infos? Dann melden Sie sich gerne bei Jana Seifert. Ganz im Sinne der Stärkung der schwachen Bindungen freut sie sich über den Kontakt.

Literatur:

Mark S. Granovetter: The Strength of Weak Ties (abgerufen am 17. Januar 2022). American Journal of Sociology, Volume 78, Ausgabe 6 (Mai 1973), S. 1360-1380

Michael Faschingbauer: Effectuation: Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln. 4. Auflage, Schäffer-Poeschel 2021

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